The hype continues

Aus dem Magazin "trend" vom Juli 2014

Die vierte Farbe des Weins

Orange Wine.
Um naturbelassenen, auf der Maische
vergorenen „Orange Wine“ ist ein kleiner
Hype entstanden. Freaks und Experten
loben Natürlichkeit, Histaminarmut und
Unkompliziertheit. Skeptiker bemängeln
Fehleranfälligkeit und Regellosigkeit
in der Produktion.
Von Othmar Pruckner Fotos: Lukas Ilgner

Die Kelten waren schon ein spannendes Volk“, sagt Birgit
Braunstein. Die stolze Burgenländerin pilgert mindestens
einmal pro Jahr mit Besuchern, mit Freunden und
Bekannten zu den Resten einer ehemaligen Keltensiedlung nahe
ihrer Heimatgemeinde Purbach. Im Landesmuseum in Eisenstadt
hat sie nachgefragt und erfahren, dass das längst ausgestorbene
Volk zumindest in der pannonischen Region schon vor dreitausend
Jahren so etwas Ähnliches wie Wein herstellte. Die Neugier
der erfahrenen Winzerin wuchs ins Grenzenlose, ihre Experimentierfreude ebenfalls. Und heute keltert Frau Braunstein – in
kleinsten Mengen – Wein auf keltische Art. Sie füllt die Maische
in dreihundert Liter fassende Tonamphoren, gräbt die Gefäße eineinhalb
Meter tief in der Erde ein. Der Rest ist ein acht Monate
dauerndes Geduldspiel. Völlig unbeeinflusst von der Außenwelt
wird aus Chardonnaytrauben im Laufe der langen Zeit ein alkoholisches
Getränk, das zweifelsfrei Wein ist, nur etwas anders
aussieht, nämlich trüb und bernsteinfarben. Die Reben wurden
überhaupt nicht geschnitten, Kerne, Fruchtfleisch, Haut in den
Tonkrügen mitvergoren. Nach einem weiteren Jahr der Lagerung
im Holzfass wird das Ergebnis als „Magna Mater weiß“ ungefiltert
und ungeschwefelt in Flaschen gefüllt und an ausgewählte Weinexperten, an Liebhaber und Weinforscher um 58 Euro pro 0,75-
Liter-Flasche verkauft.

Frau Braunstein ist eine Ausnahmeerscheinung. Nicht nur, dass
sie eine der raren Winzerinnen Österreich ist, die unter ihrem
Namen ein gelobtes Weingut führt; mit der Amphorenweinproduktion
steht sie auch an einer Forschungs- und Entwicklungsfront,
so wie rund fünfundzwanzig andere Winzer im Weinland
Österreich. Die – noch durchaus überschaubare – Szene produziert
„Raw Wine“, „Natural Wine“ oder sogenannten „Orange Wine“; und
mittlerweile sind die einstigen als „extrem“ eingestuften Exoten fast
schon in der Mitte der Wein-S ociety angekommen.

Ihr gemeinsamer Schlachtruf heißt: Freiheit für den Wein. Die
Orange-Wine-Bewegung – so man denn schon von einer solchen
sprechen kann – sieht sich als bewusster Gegenentwurf zur aktuell
perfektionierten Weinproduktion. Die innovativen Exponenten
stellen Wein her, der anders als alles bisher bekannte schmeckt
und dessen Farbe stets ins Dunkle, Orange changiert. Der Grund:
Die Weißweintrauben werden – so wie Rotweintrauben – längere
Zeit auf der Maische vergoren.

Auch Ewald und Brigitte Tscheppe sind Orange-Wine-Produzenten
und echte Pioniere dieser neuen Weinfarbe. Sie residieren
am jahrhundertealten „Werlitschhof “ im steirischen Leutschach,
und rund ein Viertel der am Hof abgefüllten Weinmenge präsentiert
sich in kräftigem Orange – in Summe immerhin rund viertausend
Flaschen pro Jahr. Mit der mühseligen Produktion in der
Amphore hat Tscheppe wieder aufgehört – „ich habe gesehen, dass
mir das Holzfass näher liegt.“ Die Idee ist aber auch bei ihm: einen
neuen Weinhorizont erschließen, einen biologischen, ungezügelten
Wein mit Ecken und Kanten zu produzieren, der „geschmacklich
völlig eigenständig ist“. Gemeinsam mit vier befreundeten
Winzerfamilien sind die Tscheppes Teil einer Gruppe, die sich
„Schmecke das Leben“ nennt. Ihre Exponenten arbeiten nach strengen
biologisch-dynamischen Richtlinien, die Gruppe vermarktet
gemeinsam ihre Orange Wines und hat augenscheinlich Erfolg.
Ad fontes! In Österreich tauchte, inspiriert durch eine vitale Szene
in Slowenien und im Friaul, der Orange Wine erstmals rund
um die Jahrtausendwende auf. Doch liegt die Wiege der Idee
definitiv nicht in den südlichen Nachbarländern: Das exotische
Weinland Georgien gilt einer informierten Szene heute
als Mutterland des Amphoren- bzw. orangefarbenen
Weins. Angeblich, so die gut genährte Legende, wird in den
Randzonen des Kaukasusgebirges schon seit achttausend Jahren Wein auf diese archaische Art und Weise produziert. Den eigentlichen Erfinder kann man nicht mehr ausmachen, wohl aber wird in diversen Klöstern bis heute dieser „Quevris“-Wein gekeltert; für Weinfreaks und Weinreisende, die schon in allen Weinbaugebieten der Erde waren, eine mittlere Sensation. Freilich hat der georgische Amphorenwein mit den orangen Weinen aus heimischen Rieden herzlich wenig gemein, außer
eben die lange Maischestandzeit. In Mitteleuropa jedenfalls beginnt die
neue Weinfarbe langsam aber sicher, sich eine fixe Kellernische zu sichern. Immer mehr feine Lokale führen Orange Wine, immer mehr weinkundige Konsumenten fragen nach diesem neuen Produkt; und nicht zuletzt widmete das Feinschmeckermagazin „Falstaff“ dem neuen Trend dieses Frühjahr eine eigene Titelgeschichte. Herausgeber Wolfgang Rosam ist überzeugt davon, dass „Orange“ keine kurzlebige Modeerscheinung bleiben, sondern seinen fixen Nischenplatz halten wird: „Wenn es passt, kann er bei einem feinen fünfgängigen Menü sicher ein Teil der Weinbegleitung sein“, zollt der Gourmet der Nation dem Jungstar Anerkennung.

Der ohnedies bescheidene Hype um die neue Weinfarbe fordert
natürlich auch Kritiker heraus. Willi Balanjuk ist wahrlich
kein Querulant, sondern Präsident der honorigen Weinakademiker
Österreichs und Miteigentümer des „Freiguts“ Thallern.
Natürlich, so leitet er ein, gebe es „wie bei Rot, Weiß, Rosé und
Schaum“ auch bei Orange gute, ja sogar sensationelle Weine. Er
verstehe, dass man den Wein so wenig wie möglich zügeln möchte,
„aber es gibt bei Orange auch Weine, die durch Oxidation
völlig den Charakter verlieren“. Für ihn werden „Raw Wines“, wie
er sie nennt, dann problematisch, wenn man den Standort nicht
mehr erschmecken kann. Es stört ihn, dass es für die Produktion
von Orange Wine „keine Regeln und eine gefährliche Bandbreite“
gebe. Sein Fazit: „Orange Wine wird nie den Einzug ins
Parlament schaffen, nie die Fünf-Prozent-Hürde überspringen.“
Zusatz: „Aber die biodynamische Produktion wird sicher
mehr.“

Oranger Gesundbrunnen.

Orange Wine ist zweifellos für einige Newcomer wie etwa Matthias Warnung aus dem niederösterreichischen Etsdorf eine Chance, mit einem revolutionär neuen Produkt und einer neuen Philosophie auf sich aufmerksam zu machen. Aber auch arrivierte Weinproduzenten sind mittlerweile im Boot. Stephanie Eselböck, Tochter der bekannten Taubenkobel-Gastwirte, ist gemeinsam mit ihrem Mann am Gut Oggau erfolgreich in der Bio- und Orange-Weinszene aktiv. Fred Loimer aus Langenlois, ein ehemals junger Wilde, füllt einen orangen „Achtung“

Lexikon: Wie wird der weiße Wein orange?

Oranger Wein ist eigentlich Weißwein, der wie ansonsten Rotwein auf der Maische vergoren wird. Durch die lange „Maischestandzeit“ entsteht das unverwechselbare Markenkennzeichen,
eine dunkelgelbe bis orange Farbe. Historisch gesehen ist diese Art der Produktion vermutlich die älteste Form der Weinbereitung. Die tausende Jahre alten Wurzeln liegen im georgischen Kaukasusgebirge.
In Europa wird oranger Wein seit der Jahrtausendwende neu entdeckt. Größere Mengen werden in Slowenien, Kroatien und im Friaul hergestellt, aber auch in Deutschland, Italien
und Frankreich gibt es mittlerweile Orange Wine.
In Österreich ist die Szene mit rund 25 Winzern
noch überschaubar klein, doch experimentieren immer mehr Produzenten mit diesem
neuen, vorwiegend naturbelassenen Produkt. Oft werden unter dem Begriff Orange Wine auch „Natural Wines“ bzw. „Raw Wines“ subsumiert. Die Preise für 0,75-Liter-Flaschen liegen
zwischen 20 und 40 Euro – und damit weit über dem Durchschnitt von Weißweinen. in schlanke Flaschen. Niki Moser, Spross der großen Lenz-Moser- Winzerdynastie aus Rohrendorf, keltert zwar keinen orangefarbenen, aber „wenn sie so wollen, einen Natural Wine“. Sein
„Minimal“ ist mit Schwefel nicht in Berührung gekommen,
ungeschönt, kräftig in der Farbe und jedenfalls geringstmöglich
in seiner spontanen Entwicklung beeinflusst. Moser sieht seinen
"Minimal“ als maximal natürliche „Gegenbewegung zum technologisch
geprägten Wein“. Freilich glaubt er, dass oranger Wein für
Winzer wie ihn immer nur eine kleine Nische bleiben wird,
außerdem ist ihm ganz echter Orange Wine schon etwas „zu
rustikal“.

Etwas anders denkt da Egon J. Berger. Im Hauptberuf bei
Honeywell Österreich als Serviceleiter beschäftigt, widmet sich das
„Gasthauskind“ im Zweitberuf der ausschließlichen Vermarktung
der neuen Weinfarbe. Er importiert slowenische Weine, versammelt
in Summe sechzig Winzer in seiner Orange-Wine-Vinothek,
organisiert Verkostungen, referiert bei Gesundheitskongressen
und veranstaltet im Herbst in Wien sogar ein „Orange-Wine-Festival“.
Er lobt Orange Wine vorwiegend als faszinierenden Essenbegleiter,
preist dessen optimale Verträglichkeit und Histaminarmut
und hat auch eine Studie zur besonderen Reinheit dieser Naturweine
herzuzeigen. „In der Bio- und Vegan-Szene spielt Orange
Wine schon heute eine bedeutende Rolle“, behauptet der Vermarktungsexperte beseelt von seiner Mission. Und ist sich seiner Sache hundertprozentig sicher: „Die Zukunft für Orange und Natural
Wines ist eine große.“
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